Kolumne

Monatlich schreibe ich für die Ostfriesen-Zeitung eine Kolumne, die unter der Rubrik „bi karkens“ erscheint. Hier könnt ihr sie lesen:

Nicht immer alles gut (06.12.2024)

Schauen Sie sich eigentlich gerne diese Weihnachtsfilme an? Meistens sind das sogenannte Familienfilme. Alles läuft auf Weihnachten zu, dann gibt es irgendwelche meist lustigen Probleme und am Ende haben sich dann alle wieder lieb. Ich schaue diese Filme gerne, auch wenn ich weiß, dass sie mit dem wirklichen Leben meistens reichlich wenig zu tun haben. Auch nicht mit meinem, in dem es manchmal gar nicht so ist wie im Film.
Ehrlich gesagt fürchte ich mich sogar ein bisschen vor Weihnachten. Nicht vor den Gottesdiensten, denn da weiß ich genau, was ich als Pastor zu tun habe. Schließlich hat mich Gott höchstpersönlich damit beauftragt. Ich spreche von der Hoffnung, die mit Jesus in die Welt kommt und versuche, Menschen zu ermutigen. Und ob etwas daraus wird, das kann ich ganz getrost Gott überlassen. Natürlich gebe ich mir trotzdem Mühe. Meistens macht er etwas daraus und mir geht es dann gut. Etwas anderes ist es zuhause. Da fürchte ich mich wie gesagt ein bisschen vor dem Weihnachtsfest. Oft gibt es bei uns Streit, weil wir so verschieden sind. Und weil wir es fast nie schaffen, die Erwartungen an uns selbst zu erfüllen. Am Ende ist manchmal nicht alles gut und das macht mich traurig. Ich kenne eine ganze Menge Leute, die sich vor Weihnachten fürchten. Manche, weil niemand kommt. Manche, weil jemand kommt. Natürlich kenne ich auch Leute, die immer erzählen, wie toll alles bei ihnen ist. Ich freue mich für sie. Bei mir ist nicht immer alles toll. Oft wünsche ich mir, es wäre anders. Oft wünsche ich mir sogar, ich wäre anders. Irgendwie gelassener und zuversichtlicher. Vielleicht probiere ich dieses Jahr, es zuhause so zu machen, wie in meinem Dienst. Ich werde einfach darauf vertrauen, dass Gott etwas daraus machen kann. Natürlich gebe ich mir trotzdem Mühe. So kann man es wahrscheinlich machen, egal welchen Beruf man hat und auch wenn man gar keinen Beruf hat. Gott kann aus allem etwas machen, sogar aus den unvollkommensten Menschen. Ich wünsche uns eine versöhnliche Adventszeit. Fürchtet euch nicht.

Wenn sich das Beten lohnen würde (08.11.2024)

“Wenn et Bedde sisch lohne dät!” Das ist ein Lied von BAP. Mit 14 war ich ein großer Fan. BAP, sie wissen schon, diese Kölner Band, die up kölsch singt. Viele ihrer Lieder sind trotzdem überregional bekannt geworden. Besonders schön finde ich immer, wenn Menschen, die gar nicht “von hier” sind, sich die Mundart der Region aneignen. In Köln ist man dann sofort “ne Kölsche”. In anderen Gegenden legen Menschen Wert darauf, das Einheimische auch vor Ort geboren sind. Und oft reicht noch nicht mal das.
Wenn et Bedde sisch lohne dät, sang BAP 1982. Und dann wurden sehr viele Dinge aufgezählt, für die sich das Beten lohnen würde. Allerdings deuteten die Autoren des Liedes an, dass es sich eben nicht lohnt, zu beten. Der Grund sei, dass die Dinge nicht in Erfüllung gehen, für die man betet. Und tatsächlich: Die damals aufgezählten Gebetsgründe sind auch 42 Jahre später nicht vom Tisch. Wenn et Bedde sisch lohne dät, würde ich z.B. für Versöhnung zwischen den Menschen beten. Ich tue es sogar, auch wenn ich ahne, dass Gott mein Gebet nicht zeitnah erledigt, sondern es auch morgen noch Krieg gibt. Dass so viele Menschen trotzdem beten, muss also einen anderen Grund haben. Viele sagen, dass sie sich durch das Gebet mit Gott verbunden fühlen. Andere sagen, dass sie sich mit anderen Menschen verbunden fühlen. Belastende Zustände können sie so besser aushalten. Manche fangen sogar an, sich selbst für die Dinge einzusetzen, für die sie beten. Sie kommen ins Handeln! Manchmal hat man den Eindruck, dass Gott ein Gebet nicht nur erhört, sondern eine Veränderung ermöglicht. Das sind diese Momente, in denen man denkt: “Wie kann das sein?” Wie durch ein Wunder sprechen Menschen plötzlich doch dieselbe Sprache! Das Beten lohnt sich. Es stiftet es eine Gemeinschaft der Traurigen, der Ratlosen und der Hoffenden! “Was schlaft ihr? Steht auf und betet!” Das steht in der Bibel bei Lukas im 22. Kapitel. Heute will ich das mal wörtlich nehmen. Und übrigens: Wir sind alle nicht von hier!

Hört auf! (11.10.2024)

Als Jugendlicher bin ich mal überfallen worden. Sie waren zu fünft. Wir waren drei. Sie schlugen einfach auf uns ein, weil wir auf ihrer Bank saßen. Einer von uns rettete sich in einen Vorgarten und klingelte an einer fremden Haustür. Während er Hilfe holte, wurde ich weiter verprügelt. Auf unseren Dritten hatten sie es weniger abgesehen. Er war zum Zuschauen verdammt und wimmerte unaufhörlich:  “Hört auf, hört einfach auf.” Irgendwann hörten sie auf. Zwei Männer, die aus dem Haus gekommen waren, brüllten und drohten mit der Polizei. Ich habe lange gebraucht, um dieses Ereignis zu verarbeiten. Abends vor dem Fernseher bin ich es, der zum Zuschauen verdammt ist. Ich kann noch nicht mal zu irgendeinem Haus gehen und Hilfe holen. Ich sehe dabei zu, wie Menschen unter Trümmern nach einem Kind suchen. Und ich sehe dabei zu, wie Menschen um verschleppte Geiseln weinen. Für das Abwerfen der Bomben, die die Häuser zerstörten, gibt es viele Gründe. Für den Einsatz der Waffen von Terroristen auch. Alle sagen, sie hätten Gründe. Auf dem Bildschirm sehe ich dann, wie sie das tote Kind auf ihren Händen tragen. Ich sehe die Tränen, mein Hals ist wie zugeschnürt. Dann flüstere ich: „Hört auf, hört einfach auf.” Aber sie hören nicht auf und es kommt keine Hilfe. Ich höre die Experten reden. Alle haben viel zu sagen. Mir fällt nicht mehr ein, als: Hört auf! Sogar meine Gebete werden immer kürzer. Liegt es daran, dass ich das Gefühl habe, dass diese ganzen Worte zu nichts führen? Es scheint nicht möglich mit allen Konsequenzen anzuerkennen, dass es kein Land gibt, das irgendjemandem gehört. Ich habe mein Herz an einen besitzlosen Gott gehängt, der verprügelt, gefoltert und getötet wurde. Als Jesus schrie, kam keine Hilfe. Die Menschen hörten nicht auf, bis er tot war. So tot, wie das Kind im Fernsehen. So tot wie am Ende die Geiseln. Ich bin damals nur verprügelt worden, war nur leicht verletzt. Aber ich hatte große Angst. Wie groß muss erst die Angst der Kriegskinder sein?
Hört auf, hört einfach auf!

Das Ziel vor Augen haben (13.09.2024)

Neulich dachte ich an meinen alten Freund Hermann, der irgendwann das Gleitschirmfliegen für sich entdeckt hatte. Ich sah ihm dabei zu, wie er bei uns auf dem hügellosen Acker das Starten übte. Er baute seinen Schirm auf, wartete auf ein Lüftchen und lief dann scheinbar völlig planlos herum. Der Schirm blähte sich ein bisschen auf und sank dann zu Boden. Ich hätte dazu keine Geduld gehabt, aber Hermann erklärte mir, dass die Startvorbereitungen besonders wichtig seien. Natürlich erzählte er auch von seinen Flügen: „Wenn man oben ist, das ist wunderbar – es gibt nichts Schöneres.“ Natürlich ist es wichtig, auch wieder heil runter zu kommen. Das kann man aber nicht genauso trainieren wie das Starten. Auf das Ende bereitete sich Hermann daher eher theoretisch vor. Er erzählte, dass es viele Tipps gäbe. Zum Beispiel diesen: „Du darfst nicht dahin schauen, wo du nicht hinwillst! Schau ja nicht dahin, wo du nicht landen willst!“ Menschen trainieren mitunter viel für den Start ins Leben. Kindheit und Jugend, Schule, Ausbildung, Studium. Menschen trainieren wenig für das Ende, für das Ziel. Wo wollen wir landen? Sollte man im Sinne des Landetrainings für das Lebensende vielleicht Bestattungsvorsorge betreiben? Das wird ja schon lange angeboten. Erdbestattung oder Feuerbestattung, Grab oder anonym, Seebestattung oder im Wald? Man kann sogar hinterlegen, welche Lieder bei der Trauerfeier gesungen werden sollen und alles vorher bezahlen, dann ist alles geregelt. Ich persönlich habe bereits festgelegt, dass ich nichts festlege. Meine Angehörigen können das alles so organisieren, wie sie das für richtig halten. Ich bin ja dann längst anderswo. Wenn ich an mein Ende denke, möchte ich nicht dorthin schauen, wo ich nicht landen will. Ich möchte meine Augen auf Jesus richten, auf Gott, er soll das Ziel meines Lebens sein. Ich fürchte mich nicht vor dem Tod, denn das Ziel ist gut und friedlich. Und übrigens: Ich muss mich dringend mal wieder bei Hermann melden!

Dabei sein ist alles? (16.08.2024)

Neulich erzählte mir eine Bekannte begeistert davon, dass nun auch das letzte Kind sein Studium abgeschlossen habe und sie so stolz darauf sei. Ich lächelte zu ihren Erzählungen und hoffte, dass es nicht zu verkrampft wirkt. Schließlich fragte sie mich: “Und was machen deine Kinder so?” Ich überlegte und sagte dann: “Ich freue mich an den Tagen, an denen sie glücklich sind.” Muss es mir peinlich sein, dass es nicht danach aussieht, als ob meine Nachkommen großartige Karrieren vor sich hätten? Eine von vieren hat auf einer Fachhochschule studiert. Einen Master hat sie allerdings nicht gemacht, sondern unsere Enkelin geboren. Die anderen drei haben nicht studiert. Habe ich eigentlich Grund, trotzdem stolz auf sie zu sein? Auch wenn sie bei der Olympiade der Karrieren vermutlich die Qualifikation verpasst haben? Ich habe übrigens gerne Olympia geschaut. Den Medaillenspiegel mag ich aber nicht und auch nicht die Wehklage darüber, dass „wir Deutschen“ so schlecht waren, wie seit 1956 nicht mehr. Ich mag allerdings sehr, dass bei Olympia angeblich „Dabei sein alles ist“, auch wenn weltweit Millionen zu schlecht waren, um dabei zu sein.  Wenn Menschen von ihren fantastischen Familien erzählen, werde ich immer kleinlaut. Mein Vater war ein kreativer Trinker und wurde nur 57 Jahre alt. Er hatte mich lieb, aber mitgegeben hat er mir auch seinen Jähzorn und die Eigenschaft, wild um sich zu schlagen, wenn man angegriffen wird. Ich bin übrigens gerade 57. Mein Bruder starb jung an den Folgen eines unsteten Lebens. Meine Schwiegermutter nahm sich das Leben, als meine Frau ein Kind war. Das alles und auch wir eignen uns nicht, um damit anzugeben. Ich kenne viele Menschen, die sich wie ich fragen, ob sie auf ihre Familien auch stolz sein können, wenn sie nicht viel vorzuweisen haben. Mit Michaela bin ich seit 31 Jahren zusammen. Unser Trauspruch kommt aus der Bibel: “Die mit Tränen säen, werden mit Freuden ernten.” (Psalm 126).  Nur Mut, liebe Verliererinnen und Verlierer! Wir sind stolz auf Euch!

Alles wird gut (17.07.2024)

Letzte Woche hatte ich eine Unterhaltung mit einem Freund. Am Ende des Gesprächs sagte er: „Alles wird gut.“ Man muss dazu sagen, dass wir gerade über ziemlich große Sorgen geredet hatten. Seine und meine. Und dann sagte er: „Alles wird gut.“ Das stimmt nicht. Es wird nicht immer alles gut. Oder doch? Die Religionen erzählen davon. Alle! Wenn es nicht auf Erden gut wird, dann wenigstens im Himmel. Soll das der Trost für alle sein, die ein wirklich schweres Leben haben? Wir trösten belastete Menschen damit, dass es im Himmel für sie besser wird? Manche Leute können darüber nur den Kopf schütteln. Da fällt mir ein: Kennen Sie die Geschichte vom verlorenen Schaf? Sie steht in der Bibel. Ein Hirte hatte 100 Schafe. Eins ging verloren. Da machte er sich auf und sucht so lange, bis er es gefunden hatte. Die Freude war groß. Er brachte das Schaf wohlbehalten zurück. So wie der Hirte sei Gott, sagte Jesus. Er findet immer das Verlorene. Und dann ist alles gut. Unser Leben wirkt anders. Wir sehen die Verlorenen, wir kennen vielleicht sogar Verlorene. Wir sind selbst Verlorene. Und die frohe Botschaft von einem Gott, der uns immer sucht, findet und nachhause bringt bekommt mehr und mehr Macken, je älter wir werden. Das kann so weit gehen, dass Menschen sagen, dieser Gott könne ihnen gestohlen bleiben. Meinem Freund geht es nicht so. Er glaubt fest daran, dass alles gut wird, obwohl es auch in seinem Leben gar nicht danach aussieht. Ich frage ihn manchmal, woher er diesen Glauben nimmt. Seine Antwort: „Ich weiß es nicht. Ich nehme ihn ja auch gar nicht. Ich habe ihn einfach!“ Wenn ich mal wieder denke, dass nicht alles gut wird und viele nicht gefunden werden, dann leihe ich mir den Glauben meines Freundes. Manchmal kommen mir dann die Tränen und ich sage zu Gott: „Es ist mir egal, ob es vernünftig ist. Ich möchte glauben, dass alles gut wird. Und ja, meinetwegen auch erst im Himmel.“ Wissen Sie was? Mein Freund leiht mir seinen Glauben gern. Und Ihnen auch, da bin ganz sicher.

So soll es sein? (21.06.2024)

Am Montag haben wir uns bei einem Autohaus in Wiesmoor einen gebrauchten Kleinwagen gekauft. Abends kamen wir ins Grübeln. War es die richtige Entscheidung? War das Auto nicht viel zu teuer?  Am frühen Dienstagmorgen ploppten dann die ersten Nachrichten von einem brennenden Autohaus  in meinem Smartphone auf und Bekannte fragten: „Habt Ihr Euch nicht gestern dort ein Auto gekauft?“. Einer der ersten Kommentare lautete: „Es sollte wohl nicht sein.“ Das sagt man ja so. Zunächst habe ich innerlich genickt. Und dann fiel mir plötzlich auf, wie zynisch ein solcher Gedanke sein kann. Wenn irgendeine höhere Macht dafür verantwortlich ist, dass wir nun einen anderen Kleinwagen kaufen werden, dann bedeutet das ja auch, dass diese höhere Macht Autohäuser anzündet, um Kleinigkeiten in meinem Leben zu regeln!  „Es sollte nicht sein“ könnte bedeuten, dass der Brand sein sollte? Was für eine furchtbare Vorstellung! Es gibt Menschen, die behaupten, das Leben sei ein einziger Plan Gottes. Wenn Gott also geplant hat, dass so viel Zerstörung durch ein Feuer geschieht, Menschen ihren Besitz und andere vielleicht ihren Arbeitsplatz verlieren, dann möchte ich Gott gerne mitteilen, dass ich seine Pläne schrecklich finde. In Zukunft möchte auch ich mit solchen Bemerkungen vorsichtiger sein. Es könnte sein, dass Gott einen Plan hat. Aber Brände, Kriege, Katastrophen und andere Not kann ich mir als sein gezieltes Werk heutzutage nicht vorstellen, auch wenn ich weiß, dass in der Bibel davon die Rede ist. Heute bete ich für alle Menschen, die von Zerstörung betroffen sind und unter ihr zu leiden haben. Ich gehöre derzeit nicht dazu und weiß, dass dies nicht selbstverständlich ist. Ich bete auch für alle, die zu Hilfe eilen. Und für die, die im Hintergrund die Helferinnen und Helfer versorgen. Danke, dass Ihr alles stehen und liegen lasst, um zu helfen! Ich stelle mir vor, dass Gottes Antwort auf Zerstörung unsere helfenden Hände und mitfühlenden Herzen sind. So soll es sein! Hier und anderswo.

Die wunderbare Vielfalt (24.05.2024)

Als mennonitischer Pastor kommt man ganz schön rum. Ich habe vier Gemeinden in fünf Städten. Überall treffen wir uns, um Gemeinschaft und Orientierung auf der Grundlage des Evangeliums zu finden.
Und natürlich diskutieren wir auch darüber. Letzte Woche haben wir erst über den Heiligen Geist gesprochen und uns dann gefragt, wie das eigentlich bei den anderen Religionen ist. Schon interessant, was zum Beispiel die Hindus so machen. Wussten Sie zum Beispiel, dass viele kein Fleisch essen, weil Tiere bei ihnen einen sehr hohen Stellenwert haben? Oder wussten Sie, dass man Hindu gar nicht werden kann? Das wird man durch Geburt. Christ wird man durch die Taufe. Nach dem Verständnis der Mennoniten setzt dies eine bewusste Entscheidung voraus. Daher taufen wir keine Säuglinge. Mir gefällt es, dass man sich entscheiden kann, zu unserer Glaubensgemeinschaft gehören zu wollen. Und je länger ich mir all die Religionen anschaue, desto zuversichtlicher bin ich, dass ich bei Jesus richtig bin. In der Bibel steht, dass er sagt, dass man nur durch ihn zu Gott kommen kann. Er sei der Weg, die Wahrheit und das Leben. Sind dann alle verloren, die nicht an ihn glauben? Es gibt Christen, die das behaupten. Ich glaube, dass Jesus diesen Satz einladend und nicht ausgrenzend gemeint hat. Wir Christen müssen uns nicht über andere Religionen erheben. Wir dürfen uns sogar für sie interessieren, denn so entsteht ein Gespräch. Am Sonntag ist Trinitatis. Da denken Christen darüber nach, dass Gott sich uns als Vater, Sohn und Heiliger Geist offenbart hat. Gott um uns, Gott mit uns, Gott in uns. Klingt fast ein bisschen buddhistisch, auch wenn die Buddhisten eigentlich gar keinen Gott haben.
Die Hindus haben ganz viele. Juden, Muslime und Christen nur einen. Wobei es Muslime gibt, die behaupten, dass wir Christen drei haben. Das sind doch wirklich herrliche Grundlagen für einen lebendigen Dialog! Lasst uns einander erzählen, was wir glauben. Mit Freundlichkeit und Respekt, weil Gott die wunderbare Vielfalt liebt.

Zu Besuch bei Gott (26.04.2024)

“Ich war krank und ihr habt mich besucht.” Wer sagte das noch gleich? Ach ja, Jesus. Kranke besuchen?  Das macht man ja in der Regel nicht so gerne. Man könnte sich anstecken. Es kann ganz schön anstrengend sein, Kranke zu besuchen. Vor allem wenn sie sehr krank sind und man damit rechnen muss, dass sie nicht wieder gesund werden. Schnell gerät man an seine Grenzen. “Du lieber Himmel, das könnte ich sein …” denkt man vielleicht. Und wie soll man als Besucher mit Traurigkeit umgehen, mit Verzweiflung oder Wut? Und dann sagt Jesus: “Immer wenn ihr jemanden besucht habt, der krank war, habt ihr auch mich besucht.” Die Leute, zu denen er damals sprach, verstehen den Satz zuerst auch nicht. “Wie bitte? Wann sollten wir dich besucht haben?” Was meint Jesus überhaupt mit diesem Satz? Er war doch gar nicht krank. Und so richtig besuchen konnte man ihn auch nicht. Er hatte ja gar keinen festen Wohnsitz. Ich kannte mal eine alte Frau. Sie lebte in einem Altenheim und hieß Alice. Obwohl sie nicht mehr laufen konnte, war sie meistens fröhlich. Als ich sie kennenlernte, war ich 14 Jahre alt. Unsere Gemeindeschwester meinte, es sei gut, wenn zu den Alten mal ein paar junge Leute gehen würden. Ich war der einzige, der sich dann auf den Weg machte. Und das auch nur, weil ich schon damals so schlecht nein sagen konnte. Ich hatte überhaupt keine Lust, alte Leute zu besuchen. Bis ich Alice kennenlernte. Wir haben viele lustige Sachen zusammen erlebt. Ich setzte sie zum Beispiel in einen Rollstuhl und fuhr mit ihr an den Rhein. Die Leute dachten immer, ich sei ihr Enkel. Dabei hatte Alice noch nicht mal Kinder. Ich habe sie fünf Jahre lang besucht, bis sie dann gestorben ist. Ein Satz von Alice ist besonders wichtig. Sie sagte einmal: “Gott ist immer schon da, bevor du kommst.” Ich wusste damals überhaupt nicht, was sie damit meinte. Bis ich viele Jahre später den Satz von Jesus verstanden habe. So schwer der Besuch auch sein mag. Gott ist immer schon da.

Schönes Wochenende! (22. März 2024)

Wenn man als Pastor nebenberuflich Busse lenkt, kann man ganz schön was erleben. Ich mache das schon seit vielen Jahren. Aktuell übrigens in Leer im Stadtverkehr. Immer nur ein paar Stunden, vorzugsweise am Freitagnachmittag. Der Freitagnachmittag hat eine ganz besondere Magie, finde ich zumindest. Manche Leute freuen sich aufs Wochenende, andere fürchten das Wochenende. Für die einen ist es viel zu kurz, für die anderen dauert es eine Ewigkeit. Als Busfahrer sieht man sie alle. Jung und alt, berufstätig oder nicht, müde oder albern, wohlhabend oder bedürftig. Sie steigen ein, sie steigen aus und ein kurzes Stück sind wir miteinander unterwegs. Manche haben ein freundliches Wort für den Busfahrer übrig, andere sind so sehr mit sich selbst beschäftigt oder mit ihrem Smartphone, dass sie die Welt um sich herum gar nicht wahrnehmen. Ja, wenn man als Pastor nebenberuflich Busfahrer ist, kann man ganz schön was erleben. Manchmal ertappe ich mich dabei, wie ich die Fahrgäste leise oder hörbar segne. Vielleicht fragen Sie sich, was das soll? Wenn jemand besonders bedrückt wirkt, dann hoffe ich, dass sein Leben durch diesen Segen etwas tragbarer wird. Mein Segen geht übrigens so: “Schönes Wochenende!” Wie bitte? Das soll ein Segen sein? Das ist natürlich Ansichtssache. Ich verbinde mit diesem Wunsch die Überzeugung, dass Gott die Menschen kennt und liebt. Indem ich ihnen Gutes wünsche, wie z.b ein schönes Wochenende, spreche ich diese liebevolle Zuwendung aus. Den guten Wunsch zum Wochenende mache ich so zum Segen. Natürlich könnte ich auch sagen “Gott segne Sie!” Aber ich vermute, dass dies manche Menschen mehr irritieren als aufbauen könnte. Schade eigentlich, aber wahr. Oder sollte ich mutiger sein? Mutiger von Gott und seiner Liebe sprechen, in einer Welt, die manchmal so gottverlassen wirkt? Wenn man als Pastor nebenberuflich Bus fährt, kann man ganz schön was erleben. Schönes Wochenende!

Frieden schaffen ohne Waffen (23. Februar 2024)

Mit relativ langen Haaren, Latzhose und diesem griffigen Slogan zogen meine Freunde und ich in den 80er Jahren von Demo zu Demo. Ich lebte damals in Bonn, der damaligen Bundeshauptstadt. Die Regierungen plädierten dafür, im Rahmen des sogenannten NATO-Doppelbeschlusses, die Waffenarsenale zur Abschreckung deutlich auszuweiten. Seinerzeit lebte meine Großmutter noch. Sie hatte zwei Brüder und zwei Schwestern. Die Männer der Schwestern verloren im Krieg ihr Leben. Ein Bruder kehrte nach Jahren der Gefangenschaft als gebrochener Mann zurück. Der andere Bruder war nie im Krieg gewesen, weil er als Ingenieur für den Nachschub zuständig war. Er, der als einziger Mann der Familie unversehrt blieb, weigerte sich im hohen Alter, eine Operation durchführen zu lassen, weil er Sorge hatte, dass er dabei Blutkonserven von irgendwelchen Ausländern bekommen könnte. Die Familie schwieg übrigens, wenn er solche Bemerkungen bei Kaffee und Kuchen machte. Auch ich sagte nichts und dafür schäme ich mich bis heute. Meine Großmutter sagte immer, dass es zur Gewaltlosigkeit keine Alternative gäbe. Sie sei keine Heldin gewesen, aber trotzdem würde sie lieber sterben als töten. Genau das hat Jesus vorgelebt, als er seine Gegner nicht vernichtet hat, sondern sich ihnen auslieferte. An vielen Stellen biegen wir uns heute Jesu Botschaft so zurecht, dass sie in unsere erneute Aufrüstungsdebatte passt. Genau wie meine Großmutter, bin auch ich kein Held. Aber ich flehe die Mächtigen der Welt im Namen Jesu an: Legt die Waffen nieder! Es ist vier Jahrzehnte her, seit ich für den Frieden demonstrierte. Natürlich weiß ich, wie einfach es ist, sich im derzeit sicheren Deutschland für ein “Frieden schaffen ohne Waffen” einzusetzen. Die Weltlage ist kompliziert und ich bin kein Experte. Wenn Jesus sagt, dass wir unsere Feinde lieben sollen und denen Gutes tun, die uns hassen, dann ist das kein Satz aus einem Wellnesskurs der Volkshochschule, sondern vermutlich der einzige Weg, wie die Menschheit noch zu retten ist.

Es ist schon gesät (02. Februar 2024)

„Eine große Tüte Sonnenblumenkerne schaffe ich mir noch an. Und wo die Gegend öder als öde ist, verstreu ich sie dann. Es wachsen lauter duftende Sonnen langsam heran, zwischen den Klötzern und Mauern dann irgendwann.“ So sang der von mir geschätzte Gerhard Schöne schon im Jahr 1989! Das war vor dem Mauerfall. Gerhard Schöne kommt aus Coswig bei Dresden und ich bin sicher, er hat mit seinen Liedern maßgeblich zum Fall der Mauer beigetragen! Er gastiert am 10. März in Oldenburg im Theaterlaboratorium. Es gibt für dieses Konzert sogar noch Karten! Ich werde in der ersten Reihe sitzen. Gerhard Schöne ist zauberhaft, warmherzig und sehr begabt. Er ist eine Art Gottesbote und hat mir schon oft geholfen. Und wie ist es nun mit den Sonnenblumenkernen? Wir Menschen fragen uns: Wird der Samen Erde finden? Wird es regnen? Wird die Sonne draufscheinen? Was soll aus der Welt werden? Was aus den Kindern? Fallen auch Samen der Hoffnung in den Schnee in der Ostukraine oder den Staub in Gaza? Fallen Samen dahin, wo wir denken: Da wächst überhaupt nichts mehr. Nie mehr. In den Todeszonen und Ruinen. Da, wo der Boden steinhart und vergiftet ist? Kann und vor allem wird dort geschehen, womit keiner mehr gerechnet hat: Güte, Frieden, Hoffnung? Ach, ich wünschte es so sehr. Wir wollen nicht nachlassen, daran zu glauben, dass Gottes Reich schon hier beginnt. Dass der Samen dafür schon da ist!  „Eine schöne Flaschenpost will ich bauen und werfe sie ins Meer. Vielleicht, wenn ich schon gar nicht mehr lebe, dann findet sie wer. Auf dem Papier, das er dann entfaltet, sage ich ihm: Lass dir die Träume nicht nehmen, God bless your dream!“ Ich will von einer friedlichen Welt träumen und Dich dazu ermutigen, das auch zu tun. „Ein kleines Flugzeug will ich noch falten, ich hab schon geübt. Auf seine Flügel schreib ich die Botschaft: Gut, dass es dich gibt! Im Kaufhaus lasse ich es dann fliegen, voll ins Gewühl. Nach einer lässigen Runde findet’s ein Ziel.“ Danke Gerhard Schöne!

Zwischen den Jahren (Ende Dezember 2023)

Ich mag diese Bezeichnung für die Tage zwischen Weihnachten und Neujahr. Das alte Jahr ist fast vorbei und das neue ist noch nicht da. Die Tage kommen mir länger vor und die Uhren ticken anders. Überall noch Weihnachtsdeko und die wurzellosen Weihnachtsbäume sehen ihrem Ende entgegen. Das Baby Jesus, den die Christen Erlöser nennen und Heiland, wäre nach heutigen Kriterien auf Geburtsstationen inzwischen soweit, dass er nach Hause gehen könnte. Natürlich nur, wenn alles gut ist. Es ist aber nicht alles gut. Weder damals noch heute zwischen den Jahren. Aus Angst, dass der kleine Jesus jemand ist, der dem herrschenden König Herodes gefährlich werden könnte, lässt dieser den Mord an allen Erstgeborenen befehlen. Gedanken kommen mir unsortiert in den Sinn: Befehle zum Töten ergehen in diesen Tagen zigtausendfach. Das Töten im Krieg sei kein Morden, erklären die Militärs und hüben wie drüben, fragen sich junge Menschen, wofür sie kämpfen und wofür sie sterben. Nur manche finden eine ethisch vertretbare Antwort.  Das Licht der Heiligen Nacht hat es schwer zwischen den Jahren. Auch im Kleinen. In einem Gedränge am zweiten Feiertag stößt ein junger Mann versehentlich einen älteren an. Der ältere beschimpft ihn, als gäbe es kein Morgen mehr. Menschen kleben sich auf der Straße fest. Sie ernten dafür wütende Proteste und wenig Verständnis. Andere Menschen blockieren mit ihren Landmaschinen Kreuzungen und kippen Mist auf der Straße ab. Sie ernten dafür Beifall und viel Verständnis. Ich sehe das alles und höre die biblische Losung für 2024: “Alles was ihr tut, geschehe in Liebe.” Das steht im ersten Brief des Paulus an die Korinther. Immer diese Christen mit ihrer naiven Gutgläubigkeit. Wo kämen wir denn da hin? Meine Gedanken gehen wieder zum Kind in der Krippe. Zu dem, der Liebe bedingungslos gelebt hat. Statt zurückzuschlagen, ließ der gutgläubige Heiland sich ans Kreuz nageln. Alles was ihr tut, geschehe in Liebe? Was haben wir damit zu tun? Zwischen den Jahren?

Ein heruntergekommener Gott? (Anfang Dezember 2023)

Beim Discounter liegen noch ein paar inzwischen etwas vertrocknete Exemplare: Für unter 10 Euro kann man bei uns schon einen Adventskranz bekommen. So richtig schick sehen die ehrlich gesagt nicht aus. Ich musste gestern seufzen, als ich sie sah. Sonntag zünden viele die erste Kerze an. Advent kommt aus dem Lateinischen und heißt Ankunft. Vor der Ankunft steht das Warten. Das Unterwegssein. In diesen Tagen sind wir  gefragt, von der Ankunft Gottes in dieser Welt zu sprechen. Ich fühle mich manchmal wie gelähmt zwischen den Bildern von Not, Terror und Krieg. Das geht vielen Menschen so. Es ist zum Seufzen. Wir könnten  natürlich einfach wegsehen und ein oder zwei Glühweine mehr trinken, um die Dunkelheit in der Welt besser aushalten zu können. Sich an den kleinen Hoffnungsschimmern zu erfreuen, ist nämlich gar nicht so einfach, oder? Sie scheinen ziemlich schwach. Mir ist das Seufzen im Moment näher als das Jubeln. Jubeln, weil Gott als Baby in die Welt kommt? Es heißt, er kennt die Welt genau und weiß, worauf er sich einlässt. Schließlich ist Gott ja nicht naiv oder dumm. Wer sich so ausliefert wie Gott, der kennt sich mit Leid und Not aus. Auch mit meiner kleinen Not, wenn ich mehr seufzen als jubeln muss? Ich atme tief ein und warte auf Gottes Ankunft. Er ist unterwegs, genau wie wir. Ich persönlich finde die Vorstellung, dass er uns erlösen will hervorragend. Erlösung ist das Tor zu Frieden und Freiheit. Erlösung für uns und alle anderen Menschenkinder. Das Kind, in dem Gott Mensch wird, heißt Jesus und auch Friedefürst. Gewaltlos ging er bis ans Kreuz und sagte: „Ich will lieber sterben, als töten.“ Wie schwer ist es, diesem Jesus nachzufolgen. Der Stall von Betlehem ist in Gefahr. Das war er immer, aber heute sind wir gefragt, vom Advent zu sprechen. Advent heißt Ankunft. Gott kommt herunter in unser Leben! Ein heruntergekommener Gott? Ja, irgendwie schon. Mit uns auf Augenhöhe. Aus meinem Seufzen wird ein Durchatmen!

Feiertagslaune (November 2023):

Dienstag war Reformationstag. Den nehmen nicht nur die Christen gerne als freien Tag an. Und nutzen ihn in als freie Bürger wofür sie wollen. Als der 31.10. im Jahr 2018 Feiertag wurde, habe ich gestaunt. Wieder ein christlicher Feiertag, bei dem viele Menschen nicht wissen, warum es ihn gibt. Und ich erkläre es jetzt übrigens auch nicht, das können andere Pastoren besser. Statt von Reformen zu reden oder die evangelische Kirche zu feiern, möchte ich heute lieber mal etwas über den Glauben schreiben, denn so richtig in Feiertagslaune war ich Dienstag nicht: „Gott allein breitet den Himmel aus und geht auf den Wogen des Meeres. Er macht den Großen Wagen am Himmel und den Orion und das Siebengestirn und die Sterne des Südens.“ (Hiob 9,8-9). Das ist der biblische Monatsspruch für den November. In einer Welt voller Leid sagt diesen Satz einer, der sich mit Leiden auskennt. Er heißt Hiob und es gibt über ihn ein ganzes Buch voller Leid in der Bibel. Trotz aller Verzweiflung hält er an seinem Glauben fest. Im November 2023 scheint die Not in der Welt übermächtig zu sein. Und damit meine ich nicht nur Kriege, Katastrophen und Armut. Not ist ja immer sehr individuell und kann auch Reiche treffen. Wenn ich, wie Hiob, am Himmel den großen Wagen sehe, dann ahne ich, dass Gott doch immer größer ist als die Verzweiflung. Diese Erkenntnis ist übrigens nichts typisch Christliches. Wenn Menschen erkennen, dass es etwas liebevoll Größeres gibt als sie selbst, kann das der Schlüssel zum Frieden sein. Übrigens: Mitten in die Not der Welt, legte mir unsere älteste Tochter neulich ein Ultraschallbild auf den Kuchenteller. Ich habe geheult und bin völlig ausgeflippt vor lauter Freude, dass ich nun also Opa werde. Ein Kind mehr in eine Welt voller Leid? Ein Kind mehr, dessen Zukunft wir nicht kennen? Ich will daran glauben, dass es Hoffnung gibt. Hoffnung für Christen, Juden, Muslime und alle anderen, die gerade Geburten feiern oder ihre Kinder zu Grabe tragen. Nicht nur am Feiertag.

Ob es uns passt oder nicht! (Oktober 2023):

Seit ich als Kind eine monatelange Antibiotika-Therapie bekam, habe ich total schlechte Zähne. Sie sind schief und krumm und alles andere als strahlend weiß. Am liebsten würde ich nie den Mund aufmachen, aber das ist als Pastor schwierig. Ich versuche aber zumindest beim Lächeln, den Mund geschlossen zu halten. Wenn ich in Gedanken oder total ausgelassen bin, dann geht mein Mund aber trotzdem auf und ich lache. Wenn ich mich dann auf einem Foto sehe, schäme ich mich. Ich habe schon oft darüber nachgedacht, mir für viel Geld die Zähne machen zu lassen. Damit wir uns nicht falsch verstehen: Ich habe ein gesundes und saniertes Gebiss. Ich gehe regelmäßig zum Zahnarzt und der sagt immer: „Herr Kaminski, es sind ihre echten Zähne. Vielleicht nicht schön, aber einzigartig. Falsche Zähne kann sich jeder machen lassen.“ Das stimmt natürlich nicht. Denn schöne falsche Zähne kann man sich nur machen lassen, wenn man sehr viel Geld auf den Tisch legt. Dass der Zahnarzt mich aber daran erinnerte, dass ich einzigartig bin, hat mir sehr gefallen. Das war ja fast wie eine kleine Predigt. Zähne sind ein total sensibles Thema. Ob der Vorsitzende der CDU das bedacht hat, als er behauptete, dass abgelehnte Asylbewerber sich die Zähne machen lassen, während die Bundesbürger keinen Zahnarzttermin bekommen? Geflüchtete haben oft furchtbar schlechte Zähne. Und wer schon mal Zahnschmerzen hatte, der weiß wie wichtig es ist, dass diese nachlassen und möglichst nicht wiederkommen. Wenn Menschen polarisieren nutzen Sie ganz oft die Begriffe „die da“ und „wir hier“. Das machen übrigens Vertreter aller politischen Lager und manchmal sogar Vertreter der christlichen Kirchen und anderer Religionen. Anfang Oktober ist immer Erntedank. Ich bin sehr dankbar dafür, dass ich zu einem Zahnarzt gehen kann. Und ich bin dankbar dafür, dass Gott jede und jeden von uns in seiner Einzigartigkeit kennt und liebt. Ob uns das passt oder nicht: Gott liebt immer auch „das andere“.

Im Sommer sind sie am besten! (September 2023):

Gestern an der Kasse. Mit einer fast andächtigen Handbewegung lege ich eine Packung Lebkuchen auf das Band. Es ist Spätsommer und ich empfinde eine Mischung aus kindlicher Vorfreude und jugendlichem Tatendrang, zu der sich meine doch inzwischen beträchtliche Lebenserfahrung in Form von mildem Lächeln gesellt. Vor mir steht eine Frau, bei der ich einen Hauch Kopfschütteln wahrnehme. „Die essen Sie doch nicht wirklich jetzt schon, oder?“ fragt plötzlich ein rüstiger Rentner hinter mir. „Ja, was glauben Sie denn“, antwortet die Frau für mich und ich sehe mich mit den Schultern zucken. Ja, was glaubt er denn? Natürlich esse ich sie, denn im Sommer sind sie am besten. Frisch ab Werk und noch lange haltbar, mit einem Aroma, welches die Lebkuchen im Dezember schon nicht mehr haben. Ich kenne mich aus! Und ich frage mich gleichzeitig, was der Mann hinter mir glaubt. Schließlich war das ja die Frage. Was glaubt er denn? Ist es ein religiöses Statement, wenn man Lebkuchen erst im Dezember isst? Oder Teil eines spirituellen Weges? Ist es gar eine Art Blasphemie, wenn man sie schon im September kauft, bereits auf dem Parkplatz die Verpackung öffnet und einen im Gehen verspeist? Was glauben Sie denn? Es gibt eine Aktion der Kirchen, die „Advent ist im Dezember“ heißt und uns wohl daran erinnern soll, die Feste zu feiern, wie sie fallen. Ich habe wirklich schon darüber nachgedacht, vor dem ersten Dezember keine Lebkuchen zu kaufen. Dann stand aber eine Kanutour im Spätsommer an und ich kaufte mehrere Packungen, um mit der paddelnden Schar ein ganz besonderes Picknick machen zu können. Als ich die Lebkuchen auspackte, waren wir alle mitten im Thema. Woran glauben wir? Für mich hat Glaube etwas befreiendes. Er gibt meinem Leben Halt und einen Rahmen. Belehrungen, wann ich Lebkuchen kaufen darf und wann nicht, finde ich ein bisschen komisch. Ich wünsche mir eher das Gespräch mit meinen Mitmenschen über Sinn und Unsinn, Hoffnung und Angst, Mut und Ohnmacht. Ich glaube an Gott. Und der lässt sich nicht in Kampagnen sperren, sondern ist ein Menschenfreund voller Geheimnisse. Wussten Sie übrigens, dass die Ägypter den Lebkuchen erfunden haben? Und das schon 350 vor Christus!

Notbetreuung (August 2023):

Völlig altmodisch habe ich mir am Montag die Zeitung in Papierform besorgt. Ich kaufte mir noch ein Rosinenbrötchen und verneinte an der Kasse die Frage, ob ich Treuepunkte sammele. In einer Regenpause setzte ich mich auf eine Bank und  las von den Aufräumarbeiten in Slowenien. „Schon wieder so viel Wasser und gleichzeitig anderswo Dürre“, dachte ich. So viele Menschen in Not! Ich schaute auf und mein Bick fiel auf das menschenleere Außengelände der Kindertagesstätte. Da war noch Sommerpause. Ich erinnerte mich an eine Begegnung vor ein paar Wochen auf einem Spielplatz um die Ecke. Gestresste Eltern sprachen über die Notbetreuung in der Kita. Die Sonne schien und gegenüber war der Supermarkt, in dem man Treuepunkte sammeln konnte. Zwei schimpften: „Schon wieder Notbetreuung! Ich möchte mal wissen, wie die sich das vorstellen. Wo für zahlen wir eigentlich Steuern?“ Einer ergänzte: „Viel zu wenig Fachkräfte und die die da sind, sind dauernd krank!“ Ich erinnerte mich an die Zeit, als unsere Kinder klein waren. Ob es damals vielleicht einfacher war? Als ich vor vielen Jahren einmal ziemlich gestresst war, weil es keine Notbetreuung gab, stand auf einem Abreißkalender in der Küche das Folgende: Es ist Frieden. Wir leiden keinen Hunger. Es droht keine Verhaftung. Mich hat das damals beruhigt. Ob diese drei Gedanken die gestressten Eltern heute auch beruhigen könnten?  Als ich so grübelte, schob eine Großmutter ihr schlafendes Enkelkind an mir vorbei und summte dazu ein Lied. Sie summte trotz Dürre, Überschwemmungen, Krieg und willkürlichen Verhaftungen. Ich legte die OZ kurz weg und faltete ganz dezent meine Hände. Ich betete still für die Söhne und Töchter, die Eltern und Großeltern, dafür, dass sie zusammenhalten und Verantwortung übernehmen konnten. Ich betete für die kranken und für die gesunden Fachkräfte und wünschte ihnen einen langen Atem und viel Kraft. Als ich Amen geflüstert hatte, entfaltete ich Hände und Zeitung und las von den ganzen Dingen und Orten, für die ich an diesem Montag noch nicht gebetet hatte. Aber Morgen war ja ein neuer Tag!