Kolumne

Monatlich schreibe ich für die Ostfriesen-Zeitung eine Kolumne, die unter der Rubrik „bi karkens“ erscheint. Hier könnt ihr sie lesen:

Dezember 2023

Ein heruntergekommener Gott?

Beim Discounter liegen noch ein paar inzwischen etwas vertrocknete Exemplare: Für unter 10 Euro kann man bei uns schon einen Adventskranz bekommen. So richtig schick sehen die ehrlich gesagt nicht aus. Ich musste gestern seufzen, als ich sie sah. Sonntag zünden viele die erste Kerze an. Advent kommt aus dem Lateinischen und heißt Ankunft. Vor der Ankunft steht das Warten. Das Unterwegssein. In diesen Tagen sind wir  gefragt, von der Ankunft Gottes in dieser Welt zu sprechen. Ich fühle mich manchmal wie gelähmt zwischen den Bildern von Not, Terror und Krieg. Das geht vielen Menschen so. Es ist zum Seufzen. Wir könnten  natürlich einfach wegsehen und ein oder zwei Glühweine mehr trinken, um die Dunkelheit in der Welt besser aushalten zu können. Sich an den kleinen Hoffnungsschimmern zu erfreuen, ist nämlich gar nicht so einfach, oder? Sie scheinen ziemlich schwach. Mir ist das Seufzen im Moment näher als das Jubeln. Jubeln, weil Gott als Baby in die Welt kommt? Es heißt, er kennt die Welt genau und weiß, worauf er sich einlässt. Schließlich ist Gott ja nicht naiv oder dumm. Wer sich so ausliefert wie Gott, der kennt sich mit Leid und Not aus. Auch mit meiner kleinen Not, wenn ich mehr seufzen als jubeln muss? Ich atme tief ein und warte auf Gottes Ankunft. Er ist unterwegs, genau wie wir. Ich persönlich finde die Vorstellung, dass er uns erlösen will hervorragend. Erlösung ist das Tor zu Frieden und Freiheit. Erlösung für uns und alle anderen Menschenkinder. Das Kind, in dem Gott Mensch wird, heißt Jesus und auch Friedefürst. Gewaltlos ging er bis ans Kreuz und sagte: „Ich will lieber sterben, als töten.“ Wie schwer ist es, diesem Jesus nachzufolgen. Der Stall von Betlehem ist in Gefahr. Das war er immer, aber heute sind wir gefragt, vom Advent zu sprechen. Advent heißt Ankunft. Gott kommt herunter in unser Leben! Ein heruntergekommener Gott? Ja, irgendwie schon. Mit uns auf Augenhöhe. Aus meinem Seufzen wird ein Durchatmen!

November 2023:

Feritagslaune

Dienstag war Reformationstag. Den nehmen nicht nur die Christen gerne als freien Tag an. Und nutzen ihn in als freie Bürger wofür sie wollen. Als der 31.10. im Jahr 2018 Feiertag wurde, habe ich gestaunt. Wieder ein christlicher Feiertag, bei dem viele Menschen nicht wissen, warum es ihn gibt. Und ich erkläre es jetzt übrigens auch nicht, das können andere Pastoren besser. Statt von Reformen zu reden oder die evangelische Kirche zu feiern, möchte ich heute lieber mal etwas über den Glauben schreiben, denn so richtig in Feiertagslaune war ich Dienstag nicht: „Gott allein breitet den Himmel aus und geht auf den Wogen des Meeres. Er macht den Großen Wagen am Himmel und den Orion und das Siebengestirn und die Sterne des Südens.“ (Hiob 9,8-9). Das ist der biblische Monatsspruch für den November. In einer Welt voller Leid sagt diesen Satz einer, der sich mit Leiden auskennt. Er heißt Hiob und es gibt über ihn ein ganzes Buch voller Leid in der Bibel. Trotz aller Verzweiflung hält er an seinem Glauben fest. Im November 2023 scheint die Not in der Welt übermächtig zu sein. Und damit meine ich nicht nur Kriege, Katastrophen und Armut. Not ist ja immer sehr individuell und kann auch Reiche treffen. Wenn ich, wie Hiob, am Himmel den großen Wagen sehe, dann ahne ich, dass Gott doch immer größer ist als die Verzweiflung. Diese Erkenntnis ist übrigens nichts typisch Christliches. Wenn Menschen erkennen, dass es etwas liebevoll Größeres gibt als sie selbst, kann das der Schlüssel zum Frieden sein. Übrigens: Mitten in die Not der Welt, legte mir unsere älteste Tochter neulich ein Ultraschallbild auf den Kuchenteller. Ich habe geheult und bin völlig ausgeflippt vor lauter Freude, dass ich nun also Opa werde. Ein Kind mehr in eine Welt voller Leid? Ein Kind mehr, dessen Zukunft wir nicht kennen? Ich will daran glauben, dass es Hoffnung gibt. Hoffnung für Christen, Juden, Muslime und alle anderen, die gerade Geburten feiern oder ihre Kinder zu Grabe tragen. Nicht nur am Feiertag.

Oktober 2023:

Ob es uns passt oder nicht!

Seit ich als Kind eine monatelange Antibiotika-Therapie bekam, habe ich total schlechte Zähne. Sie sind schief und krumm und alles andere als strahlend weiß. Am liebsten würde ich nie den Mund aufmachen, aber das ist als Pastor schwierig. Ich versuche aber zumindest beim Lächeln, den Mund geschlossen zu halten. Wenn ich in Gedanken oder total ausgelassen bin, dann geht mein Mund aber trotzdem auf und ich lache. Wenn ich mich dann auf einem Foto sehe, schäme ich mich.

Ich habe schon oft darüber nachgedacht, mir für viel Geld die Zähne machen zu lassen. Damit wir uns nicht falsch verstehen: Ich habe ein gesundes und saniertes Gebiss. Ich gehe regelmäßig zum Zahnarzt und der sagt immer: „Herr Kaminski, es sind ihre echten Zähne. Vielleicht nicht schön, aber einzigartig. Falsche Zähne kann sich jeder machen lassen.“

Das stimmt natürlich nicht. Denn schöne falsche Zähne kann man sich nur machen lassen, wenn man sehr viel Geld auf den Tisch legt. Dass der Zahnarzt mich aber daran erinnerte, dass ich einzigartig bin, hat mir sehr gefallen. Das war ja fast wie eine kleine Predigt.

Zähne sind ein total sensibles Thema. Ob der Vorsitzende der CDU das bedacht hat, als er behauptete, dass abgelehnte Asylbewerber sich die Zähne machen lassen, während die Bundesbürger keinen Zahnarzttermin bekommen?

Geflüchtete haben oft furchtbar schlechte Zähne. Und wer schon mal Zahnschmerzen hatte, der weiß wie wichtig es ist, dass diese nachlassen und möglichst nicht wiederkommen.

Wenn Menschen polarisieren nutzen Sie ganz oft die Begriffe „die da“ und „wir hier“.

Das machen übrigens Vertreter aller politischen Lager und manchmal sogar Vertreter der christlichen Kirchen und anderer Religionen.

Anfang Oktober ist immer Erntedank. Ich bin sehr dankbar dafür, dass ich zu einem Zahnarzt gehen kann. Und ich bin dankbar dafür, dass Gott jede und jeden von uns in seiner Einzigartigkeit kennt und liebt. Ob uns das passt oder nicht: Gott liebt immer auch „das andere“.

September 2023:

Im Sommer sind sie am besten!

Gestern an der Kasse. Mit einer fast andächtigen Handbewegung lege ich eine Packung Lebkuchen auf das Band. Es ist Spätsommer und ich empfinde eine Mischung aus kindlicher Vorfreude und jugendlichem Tatendrang, zu der sich meine doch inzwischen beträchtliche Lebenserfahrung in Form von mildem Lächeln gesellt. Vor mir steht eine Frau, bei der ich einen Hauch Kopfschütteln wahrnehme. „Die essen Sie doch nicht wirklich jetzt schon, oder?“ fragt plötzlich ein rüstiger Rentner hinter mir. „Ja, was glauben Sie denn“, antwortet die Frau für mich und ich sehe mich mit den Schultern zucken. Ja, was glaubt er denn? Natürlich esse ich sie, denn im Sommer sind sie am besten. Frisch ab Werk und noch lange haltbar, mit einem Aroma, welches die Lebkuchen im Dezember schon nicht mehr haben. Ich kenne mich aus! Und ich frage mich gleichzeitig, was der Mann hinter mir glaubt. Schließlich war das ja die Frage. Was glaubt er denn? Ist es ein religiöses Statement, wenn man Lebkuchen erst im Dezember isst? Oder Teil eines spirituellen Weges? Ist es gar eine Art Blasphemie, wenn man sie schon im September kauft, bereits auf dem Parkplatz die Verpackung öffnet und einen im Gehen verspeist? Was glauben Sie denn?

Es gibt eine Aktion der Kirchen, die „Advent ist im Dezember“ heißt und uns wohl daran erinnern soll, die Feste zu feiern, wie sie fallen. Ich habe wirklich schon darüber nachgedacht, vor dem ersten Dezember keine Lebkuchen zu kaufen. Dann stand aber eine Kanutour im Spätsommer an und ich kaufte mehrere Packungen, um mit der paddelnden Schar ein ganz besonderes Picknick machen zu können. Als ich die Lebkuchen auspackte, waren wir alle mitten im Thema. Woran glauben wir?

Für mich hat Glaube etwas befreiendes. Er gibt meinem Leben Halt und einen Rahmen. Belehrungen, wann ich Lebkuchen kaufen darf und wann nicht, finde ich ein bisschen komisch. Ich wünsche mir eher das Gespräch mit meinen Mitmenschen über Sinn und Unsinn, Hoffnung und Angst, Mut und Ohnmacht. Ich glaube an Gott. Und der lässt sich nicht in Kampagnen sperren, sondern ist ein Menschenfreund voller Geheimnisse. Wussten Sie übrigens, dass die Ägypter den Lebkuchen erfunden haben? Und das schon 350 vor Christus!

August 2023:

Notbetreuung

Völlig altmodisch habe ich mir am Montag die Zeitung in Papierform besorgt. Ich kaufte mir noch ein Rosinenbrötchen und verneinte an der Kasse die Frage, ob ich Treuepunkte sammele. In einer Regenpause setzte ich mich auf eine Bank und  las von den Aufräumarbeiten in Slowenien. „Schon wieder so viel Wasser und gleichzeitig anderswo Dürre“, dachte ich. So viele Menschen in Not! Ich schaute auf und mein Bick fiel auf das menschenleere Außengelände der Kindertagesstätte. Da war noch Sommerpause.

Ich erinnerte mich an eine Begegnung vor ein paar Wochen auf einem Spielplatz um die Ecke. Gestresste Eltern sprachen über die Notbetreuung in der Kita. Die Sonne schien und gegenüber war der Supermarkt, in dem man Treuepunkte sammeln konnte. Zwei schimpften: „Schon wieder Notbetreuung! Ich möchte mal wissen, wie die sich das vorstellen. Wo für zahlen wir eigentlich Steuern?“ Einer ergänzte: „Viel zu wenig Fachkräfte und die die da sind, sind dauernd krank!“

Ich erinnerte mich an die Zeit, als unsere Kinder klein waren. Ob es damals vielleicht einfacher war? Als ich vor vielen Jahren einmal ziemlich gestresst war, weil es keine Notbetreuung gab, stand auf einem Abreißkalender in der Küche das Folgende: Es ist Frieden. Wir leiden keinen Hunger. Es droht keine Verhaftung.

Mich hat das damals beruhigt. Ob diese drei Gedanken die gestressten Eltern heute auch beruhigen könnten?  Als ich so grübelte, schob eine Großmutter ihr schlafendes Enkelkind an mir vorbei und summte dazu ein Lied. Sie summte trotz Dürre, Überschwemmungen, Krieg und willkürlichen Verhaftungen. Ich legte die OZ kurz weg und faltete ganz dezent meine Hände. Ich betete still für die Söhne und Töchter, die Eltern und Großeltern, dafür, dass sie zusammenhalten und Verantwortung übernehmen konnten. Ich betete für die kranken und für die gesunden Fachkräfte und wünschte ihnen einen langen Atem und viel Kraft. Als ich Amen geflüstert hatte, entfaltete ich Hände und Zeitung und las von den ganzen Dingen und Orten, für die ich an diesem Montag noch nicht gebetet hatte. Aber Morgen war ja ein neuer Tag!