Autor: martin-kaminski@gmx.net

Ein heruntergekommener Gott?

Kolumne in der Ostfriesenzeitung am 01.12.2023

Beim Discounter liegen noch ein paar inzwischen etwas vertrocknete Exemplare: Für unter 10 Euro kann man bei uns schon einen Adventskranz bekommen. So richtig schick sehen die ehrlich gesagt nicht aus. Ich musste gestern seufzen, als ich sie sah. Sonntag zünden viele die erste Kerze an. Advent kommt aus dem Lateinischen und heißt Ankunft. Vor der Ankunft steht das Warten. Das Unterwegssein. In diesen Tagen sind wir  gefragt, von der Ankunft Gottes in dieser Welt zu sprechen. Ich fühle mich manchmal wie gelähmt zwischen den Bildern von Not, Terror und Krieg. Das geht vielen Menschen so. Es ist zum Seufzen. Wir könnten  natürlich einfach wegsehen und ein oder zwei Glühweine mehr trinken, um die Dunkelheit in der Welt besser aushalten zu können. Sich an den kleinen Hoffnungsschimmern zu erfreuen, ist nämlich gar nicht so einfach, oder? Sie scheinen ziemlich schwach. Mir ist das Seufzen im Moment näher als das Jubeln. Jubeln, weil Gott als Baby in die Welt kommt? Es heißt, er kennt die Welt genau und weiß, worauf er sich einlässt. Schließlich ist Gott ja nicht naiv oder dumm. Wer sich so ausliefert wie Gott, der kennt sich mit Leid und Not aus. Auch mit meiner kleinen Not, wenn ich mehr seufzen als jubeln muss? Ich atme tief ein und warte auf Gottes Ankunft. Er ist unterwegs, genau wie wir. Ich persönlich finde die Vorstellung, dass er uns erlösen will hervorragend. Erlösung ist das Tor zu Frieden und Freiheit. Erlösung für uns und alle anderen Menschenkinder. Das Kind, in dem Gott Mensch wird, heißt Jesus und auch Friedefürst. Gewaltlos ging er bis ans Kreuz und sagte: „Ich will lieber sterben, als töten.“ Wie schwer ist es, diesem Jesus nachzufolgen. Der Stall von Betlehem ist in Gefahr. Das war er immer, aber heute sind wir gefragt, vom Advent zu sprechen. Advent heißt Ankunft. Gott kommt herunter in unser Leben! Ein heruntergekommener Gott? Ja, irgendwie schon. Mit uns auf Augenhöhe. Aus meinem Seufzen wird ein Durchatmen!

Ich will an die Hoffnung glauben – Kolumne in der Ostfriesenzeitung am 03.11.23

Dienstag war Reformationstag. Den nehmen nicht nur die Christen gerne als freien Tag an. Und nutzen ihn in als freie Bürger wofür sie wollen. Als der 31.10. im Jahr 2018 Feiertag wurde, habe ich gestaunt. Wieder ein christlicher Feiertag, bei dem viele Menschen nicht wissen, warum es ihn gibt. Und ich erkläre es jetzt übrigens auch nicht, das können andere Pastoren besser. Statt von Reformen zu reden oder die evangelische Kirche zu feiern, möchte ich heute lieber mal etwas über den Glauben schreiben, denn so richtig in Feiertagslaune war ich Dienstag nicht: „Gott allein breitet den Himmel aus und geht auf den Wogen des Meeres. Er macht den Großen Wagen am Himmel und den Orion und das Siebengestirn und die Sterne des Südens.“ (Hiob 9,8-9). Das ist der biblische Monatsspruch für den November. In einer Welt voller Leid sagt diesen Satz einer, der sich mit Leiden auskennt. Er heißt Hiob und es gibt über ihn ein ganzes Buch voller Leid in der Bibel. Trotz aller Verzweiflung hält er an seinem Glauben fest. Im November 2023 scheint die Not in der Welt übermächtig zu sein. Und damit meine ich nicht nur Kriege, Katastrophen und Armut. Not ist ja immer sehr individuell und kann auch Reiche treffen. Wenn ich, wie Hiob, am Himmel den großen Wagen sehe, dann ahne ich, dass Gott doch immer größer ist als die Verzweiflung. Diese Erkenntnis ist übrigens nichts typisch Christliches. Wenn Menschen erkennen, dass es etwas liebevoll Größeres gibt als sie selbst, kann das der Schlüssel zum Frieden sein. Übrigens: Mitten in die Not der Welt, legte mir unsere älteste Tochter neulich ein Ultraschallbild auf den Kuchenteller. Ich habe geheult und bin völlig ausgeflippt vor lauter Freude, dass ich nun also Opa werde. Ein Kind mehr in eine Welt voller Leid? Ein Kind mehr, dessen Zukunft wir nicht kennen? Ich will daran glauben, dass es Hoffnung gibt. Hoffnung für Christen, Juden, Muslime und alle anderen, die gerade Geburten feiern oder ihre Kinder zu Grabe tragen. Nicht nur am Feiertag.

Zünde an dein Feuer

Ein nordafrikanisches Glaubenslied aus dem mennonitischen Gesangbuch (Nr. 452). Den Text von Hector Arnéra (1890-1972) würde man heute vielleicht etwas anders dichten, aber das Lied bedeutet mir viel. Wer weiß, woran er glaubt, kann dem anderen Menschen seinen Glauben lassen, welcher immer das auch sei! Die Bilder habe ich in unserer der Emder Mennonitenkirche aufgenommen.

Ob es uns passt oder nicht!

Kolumne in der Ostfriesenzeitung im Oktober 2023

Seit ich als Kind eine monatelange Antibiotika-Therapie bekam, habe ich total schlechte Zähne. Sie sind schief und krumm und alles andere als strahlend weiß. Am liebsten würde ich nie den Mund aufmachen, aber das ist als Pastor schwierig. Ich versuche aber zumindest beim Lächeln, den Mund geschlossen zu halten. Wenn ich in Gedanken oder total ausgelassen bin, dann geht mein Mund aber trotzdem auf und ich lache. Wenn ich mich dann auf einem Foto sehe, schäme ich mich.

Ich habe schon oft darüber nachgedacht, mir für viel Geld die Zähne machen zu lassen. Damit wir uns nicht falsch verstehen: Ich habe ein gesundes und saniertes Gebiss. Ich gehe regelmäßig zum Zahnarzt und der sagt immer: „Herr Kaminski, es sind ihre echten Zähne. Vielleicht nicht schön, aber einzigartig. Falsche Zähne kann sich jeder machen lassen.“

Das stimmt natürlich nicht. Denn schöne falsche Zähne kann man sich nur machen lassen, wenn man sehr viel Geld auf den Tisch legt. Dass der Zahnarzt mich aber daran erinnerte, dass ich einzigartig bin, hat mir sehr gefallen. Das war ja fast wie eine kleine Predigt.

Zähne sind ein total sensibles Thema. Ob der Vorsitzende der CDU das bedacht hat, als er behauptete, dass abgelehnte Asylbewerber sich die Zähne machen lassen, während die Bundesbürger keinen Zahnarzttermin bekommen?

Geflüchtete haben oft furchtbar schlechte Zähne. Und wer schon mal Zahnschmerzen hatte, der weiß wie wichtig es ist, dass diese nachlassen und möglichst nicht wiederkommen.

Wenn Menschen polarisieren nutzen Sie ganz oft die Begriffe „die da“ und „wir hier“.

Das machen übrigens Vertreter aller politischen Lager und manchmal sogar Vertreter der christlichen Kirchen und anderer Religionen.

Anfang Oktober ist immer Erntedank. Ich bin sehr dankbar dafür, dass ich zu einem Zahnarzt gehen kann. Und ich bin dankbar dafür, dass Gott jede und jeden von uns in seiner Einzigartigkeit kennt und liebt. Ob uns das passt oder nicht: Gott liebt immer auch „das andere“.

Mein Zirkus

Ein mir zugeschicktes Video zu einem Polizeieinsatz war der Impuls für dieses Lied. Das Lied gibt keine Antwort auf die Frage, ob es früher besser war. Es dauert 9 Minuten, so lange wie keines meiner anderen Lieder. Viel zu lang, um erfolgreich zu sein.

Liebet Eure Feinde?

Vor einigen Tagen schickte mir eine Freundin ein Video zu. Zu sehen war eine Mutter, deren Sohn Emmett Till vor Jahrzehnten von mehreren Männern brutal misshandelt und dann ermordet worden war. Mrs. Till (Bild unten) war inzwischen 81 Jahre alt und sprach über die Lehren, die sie persönlich aus dieser Tragödie gezogen hatte.

Sie sprach über ihren Glauben. Was sie sagte, hat mich tief bewegt. Gott habe ihr gesagt, dass sie die Täter nicht hassen solle. Sein sei die Rache. Sie solle viel mehr dafür sorgen, dass junge Menschen nicht Hass, sondern Liebe lernten.

Von dieser alten, relativ kleinen Frau ging eine Milde aus, die mich sehr beeindruckte. Gleichzeitig schien sie unbesiegbar zu sein. Als sie darüber sprach, dass die Mörder ihres Sohnes keine Reue gezeigt hätten, war keine Bitterkeit in ihrer Stimme. Sie wirkte gelassen und sagte, dass nicht sie für die Begleichung der Schuld sorgen müsse. Dies würde Gott erledigen. Sie hatte es ganz offensichtlich geschafft. Sie hatte geschafft, was Jesus den Menschen ans Herz legte: Liebt eure Feinde!

Diese Liebe verringert nicht den Schmerz, den diese Mutter bis heute empfindet. Sie macht kein Leid der Welt kleiner. Aber offensichtlich, hat diese Liebe verhindert, dass das Herz der Mutter selbst durch Hass Schaden nahm.

Vor knapp drei Jahren wurde Christian, ein junger Mann aus meiner alten Gemeinde von einem anderen jungen Mann ermordet. Trotz größtem Schmerz, sagte auch in diesem Fall die Mutter des Ermordeten, dass sie unendliche Trauer empfinde, aber keinen Hass.

Wie ist das nur möglich? Ist es nicht fast zwangsläufig, dass man hasst und Vergeltung fordert, wenn so etwas schreckliches geschehen ist? Schlag und Gegenschlag? Angriff und Verteidigung?

Als ganz am Anfang der Bibel, Kain seinen Bruder Abel erschlägt, fragt Gott:

„Kain, wo ist dein Bruder Abel?“

Und Kain fragt zurück:

„Soll ich meines Bruders Hüter sein?“

Ja, Kain. Du sollst deines Menschenbruders Hüter sein! Du sollst nicht töten und niemanden quälen. Emmet, Christian, Abel. Manchmal wünschte ich, die drei hätten sich verteidigen können. Und dann erinnere ich mich an Jesus am Kreuz.

Er hat sich nicht verteidigt, nicht gewehrt – und uns damit etwas gezeigt.